Geringe Impfquoten und steigende Coronazahlen - Resultat eines Strukturproblems in der Integration?

Geringe Impfquoten und steigende Coronazahlen:
Informationsdefizite bei MigrantInnen?

Mangel an seriösen Informationen zu Corona und Impfung betrifft insbesondere Zugewanderte

Stellen Sie sich vor, Sie sprechen die Sprache des Landes, indem Sie leben, nur dürftig. Sie kennen zwar das Thema, um das es geht, können aber die genauen Inhalte im öffentlichen Diskurs nur teilweise und zusammenhangslos verstehen. Was machen Sie? Sie werden versuchen, Informationen von anderen Quellen zu erhalten, Quellen, die Sie sprachlich verstehen. Sie werden sich beispielsweise im persönlichen Umfeld oder auf Social-Media-Kanälen schlaumachen, das ist ganz natürlich. Bei Menschen, die Sie kennen und denen Sie schon allein deswegen eher Glauben schenken als Unbekannten in den Medien, die Sie kaum verstehen können. Und jetzt machen Sie selbst die Probe aufs Exempel und stellen Sie, als deutscher Muttersprachler, in Ihrem unmittelbaren Umfeld Fragen zur Covid-19-Pandemie. Sie werden wohl tausendundeine unterschiedliche Informationen und Meinungen dazu erhalten. Das Thema polarisiert und spaltet. Das Resultat? Verunsicherung...

Zugespitzt formuliert sind gerade migrantische Bevölkerungsgruppen mangels vertrauenswürdiger sprachbarrierefreier Informationsquellen verstärkt der Gefahr von Fake News ausgesetzt. ExpertInnen wie die Sozialwissenschafterin Judith Kohlenberger weisen auf diesen Umstand schon länger hin und fordern, dass das Informationsangebot mehrsprachig gestaltet werden sollte. So wurde zwar mit großem Gebraus die Impfkampagne "Österreich impft" (und weitere) ins Leben gerufen, aber profitiert haben davon hauptsächlich jene, die sowieso Zugang zu Informationen haben und nicht durch Sprachbarrieren abgehalten werden. Organisationen wie der ÖIF, Integrationsstellen, das AMS etc. übersetzen zwar Informationsblätter in wichtige Migrantensprachen und legen mehrsprachige Broschüren auf, haben sogar muttersprachliche Beratungsstellen eingerichtet - nur kann damit der sich täglich ändernden Nachrichtenlage entsprochen werden? Davon abgesehen, wie viele Menschen erreicht man damit wirklich - und zu welchen Kosten?

Vor 21 Monaten startete der Corona-Channel

Wir von uugot.it haben bereits Anfang Jänner 2020, als man noch von einer ansteckenden Krankheit im fernen China sprach, geahnt, was demnächst auf uns zukommen könnte, und bereits im Februar 2020 einen Corona-Channel lanciert. Mehrmals täglich sollten Berichte des ORF zu diesem Thema kanalisiert werden, um jenen, die noch nicht so gut Deutsch sprechen, eine Anlaufstelle zu bieten, bei der sie sich unabhängig und autonom - mit sprachlicher Vorentlastung - informieren können. Denn uns war klar: Sollte sich dieses Virus aus Fernost zu einer Pandemie auswachsen und tatsächlich zu uns kommen (das tatsächlich erreichte Ausmaß konnten wir uns damals auch in unseren kühnsten Träumen nicht vorstellen), würden öffentliche Stelle überfordert sein, migrantische Communitys mit täglich aktuellen Informationen zu versorgen. Und so kam es dann auch. Erinnern Sie sich zurück: Als die Pandemie ihren Lauf nahm, wurden gefühlt täglich Pressekonferenzen mit unterschiedlichen Konstellationen abgehalten, um die Bevölkerung über das aktuelle Geschehen, Maßnahmen etc. zu informieren.

Was ist seither passiert? Eine Bestandaufnahme...

Genau auf diese Problematik haben auch ExpertInnen und Medien, u.a. auch der ORF, hingewiesen. Aber was ist seither passiert? Aktuell steigen die Coronazahlen - saisonbedingt - wieder an, wir befinden uns mitten in der vierten Welle. Der seit April 2021 amtierende Gesundheitsminister wird nicht müde, an die Menschen zu appellieren und zur Schutzimpfung aufzurufen. Und trotzdem sehen wir uns in Österreich - gleich einem Déjà-vu - mit neuen Höchstständen konfrontiert. So wurde am Mittwoch mit 4.621 Fällen der neue Höchstwert an Neuinfektionen im Jahr 2021 gemeldet, der heute, Freitag, mit weiteren 5.861 Neuinfektionen schon wieder getoppt wurde. Randnotiz: Vergangenen Winter war noch keine Impfung für die breite Masse verfügbar, und trotzdem liegt die Zahl der Neuinfektionen heute höher. In Krankenhäusern kommt es wieder zu Engpässen. Das Krankenhaus Braunau, so berichten die OÖN am Donnerstag, sei bereits am Limit angekommen. Dabei könnte es noch schlimmer kommen: Prognosen erwarten in einer Woche knapp 6.500 Neuinfektionen. Das Land Oberösterreich reagiert nun darauf mit entsprechenden Maßnahmen wie FFP2-Maskenpflicht in allen Geschäften und kulturellen Einrichtungen. Regionale Verschärfungen wie die Ausreise-Testpflicht im Bezirk Braunau machen den Alltag wieder ungemütlicher, die Bezirke Freistadt sowie Amstetten und Lilienfeld in Niederösterreich folgen. Und wer informiert?


Haben wir im Integrationsbereich ein Strukturproblem?

Trotz der offensichtlichen Notwendigkeit, alle in Österreich lebenden Bevölkerungsteile gleichermaßen zu informieren, hat sich auch zwanzig Monate nach Pandemiebeginn nichts Grundlegendes verändert: Sie hat uns zwar eindringlich vor Augen geführt, wie wichtig die Ermöglichung von medialer Teilhabe ist. Nur ist die Pandemie nicht die eigentliche Ursache dafür, sondern sie macht, gleich einem Brennglas, die strukturelle Problematik, die dahinter liegt, sichtbar.

Wie lassen sich derartige Maßnehmen steuern und finanzieren? Wer ist verantwortlich? Ist es der Bund? Sind es die Länder? Private Mäzene oder gar Sponsoren? Wofür genau und von welchen Zeithorizonten sprechen wir überhaupt?


Exkurs: Zukunftsweisende Forschung mit gegenwartsbezogenen drittmittelfinanzierten Forschungsprojekten – ja, geht denn das?

Im Integrationsbereich scheint die Problematik ähnlich gelagert zu sein wie in der Wissenschaft. Die universitäre Forschung ist mittlerweile beinahe ausschließlich drittmittelfinanziert. Forschungsprojekte werden auf rund zwei Jahre kalkuliert, mal mehr, mal weniger. Das ist eine sehr gegenwartsbezogene Perspektive und erlaubt wenig Raum für Imagination, für Fragestellungen, die in der Zukunft liegen, mit denen unsere Gesellschaft vielleicht erst in zwanzig Jahren konfrontiert sein wird. Aber wo dann die Wissenschaft rasch eine Antwort, eine Lösung parat haben muss.

Und nein, es ist kein Wunder, dass innerhalb eines knappen Jahres hochwirksame Impfstoffe der neuesten Generation für ein davor noch nicht einmal bekanntes Virus entwickelt werden konnten. Es ist die harte, mühselige Arbeit von einigen wenigen ForscherInnen, die über einen Zeitraum von zwanzig, dreißig Jahren hinweg – eigentlich ein Forscherleben lang – all ihre Energie in die mRNA-Forschung, ein damals wenig vielversprechendes Randgebiet, gesteckt haben. Und wovon wir alle nun profitieren. Ob diese zukunftsgewandte Forscherleistung mit kurzfristigen Projektfinanzierungen und Kettenverträgen, wie sie mittlerweile im universitären Bereich Gang und Gäbe sind, auch erreicht hätte werden können?


Integrationsbereich ohne Planungssicherheit

Ähnlich scheint es auch im Integrationsbereich gelagert zu sein. Ein Projekt reiht sich an das andere. Ausschreibungen und Förderanträge müssen verfasst werden, Zwischenberichte und Endabrechnungen erstellt. Kommt ein Projekt tatsächlich zustande, müssen neue Projektteams zusammengestellt und zu gut funktionierenden Einheiten entwickelt werden, die sich nach Ablauf des Projektes wieder zerschlagen. Viele - auch finanzielle - Ressourcen sind schon allein mit der Projektabwicklung und Finanzierung gebunden, da wurde noch gar nichts für den ureigentlichen Sinn, die Integration von Zugewanderten, getan. Neben prekären Arbeitsbedingungen ohne ausreichende Zukunfts- und Planungssicherheit der MitarbeiterInnen im Integrationsbereich scheint es auch, dass bei der Projektauswahl vor allem kurzfristige Erfolgskennzahlen im Fokus stehen. Doch ist Integration nicht vielmehr eine Materie, die langfristig gedacht werden sollte? Nicht nur von Jahr zu Jahr?

Basisfinanzierungen sind aus der Mode gekommen. Das System der Basisfinanzierung hat gewiss auch seine Nachteile, doch würde es gleichzeitig den handelnden Proponenten auch mehr Zukunftsgewandtheit und eine langfristigere Ausrichtung von Maßnahmen und Instrumenten erlauben.

Unter diesen Prämissen ist die Entwicklung von zukunftsgewandten Lösungen mit großem gesellschaftlichen Output nur erschwert möglich.

Die uugot.it GmbH ist ein Social Enterprise im EdTech-Bereich. Ziel von uugot.it ist es, die Integration und den Spracherwerb von Zugewanderten mit Hilfe von audiovisuellen Medien zu fördern. Das Angebot uugot.it TV kann kostenfrei in Österreich abgerufen werden und wird aus Mitteln des Bundeskanzleramts im Rahmen des Nationalen Aktionsplans für Integration gefördert.

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Published: 2021-11-03 | Last update: 2021-11-03 | Tags: Integration, Sprachen lernen, Untertitel, Finanzierung, Förderungen, Österreich, MigrantInnen, ORF, Corona